Das „kulturelle Rahmenprogramm“ als Grund für den Besuch der traditionsreichen Hansestadt Wismar war eher vorgeschoben. Der Spaß am UL-Fliegen und die Aussicht, eine herrliche Landschaft von oben ansehen zu können, waren die eigentlichen Triebfedern bei der Wahl des Ausflugsziels Wismar.
Erneut war eines der Vereins-UL, die D‑MMZA, Basis für einen herrlichen und kostengünstigen Trip, der diesmal an die Ostsee führte, genauer: nach Wismar und in die Umgebung. Rund 500 Kilometer beträgt die direkte Strecke – was mit unseren FK9en je nach Temperament des Piloten und Windeinfluss etwas mehr als zweieinhalb Stunden entspricht. Auf der Straße sind das gut 650 Kilometer inklusive reichlicher Stauschau.
Wismar habe ich aus meinen letzten Besuchen Mitte der 90er Jahre in ausgesprochen guter Erinnerung: Die Stadt am Meer mit den pittoresken Hafenanlagen in fußläufiger Entfernung vom Stadtzentrum, dem schon damals in Teilen verkehrsberuhigten und doch sehr belebten Stadtkern mit den vielen Kneipen, einem der größten Marktplätze in Deutschland, den Baudenkmälern, der weltbesten Bratwurstbude direkt am Rathaus, der spannenden Historie sowie den vielen Ausflugszielen in der näheren Umgebung wollte ich mit nun fast zwanzig Jahren Abstand erneut erkunden.
Das Ziel – der private Flugplatz am Stadtrand von Wismar.
Los geht es am Donnerstag den 19. Juni 2014, dem Feiertag Fronleichnam. Gut, dass ich nicht abergläubisch bin… Also frühzeitig die Maschine aus der Halle geschoben, mit Gepäck für vier Tage beladen und getankt. Pünktlich mit offizieller Platzöffnung um 9.00 Uhr lokal steht das UL an der Schwelle und nach Abfliegen der Platzrunde geht es bei lockerer Bewölkung nach Norden, Kurs 27 Grad quer über den Taunus. Im Gegensatz zum Ausflug nach Dresden vor ein paar Wochen ist bereits beim Abflug klar, dass auch diesmal eine Front in den Kurs zieht, die wahrscheinlich nicht durchflogen werden kann. Und so kommt es denn auch: Bei Hildesheim sinkt die Basis ab, die Sicht wird schlechter. Die riesigen Waldgebiete südöstlich der Beschränkungsgebiete um Faßberg werden nicht allzu hoch über Wandererperspektive besichtigt und bei Uelzen, am östlichen Rand der Lüneburger Heide, ist schließlich auch meine Toleranzschwelle zur Auslegung der VFR-Bedingungen im Luftraum Golf unterschritten – eine Sicherheitslandung bringt neue Bekanntschaften und Perspektiven.
Hier hat ein offenbar sehr rühriger Verein sein Vereinsheim in Eigenleistung – wie der Zweite Vorsitzende versichert und gleich mit einem kurzen Film beweist – wirklich professionell saniert. Der Platz lohnt sicher einen Besuch bei besserem Wetter. Im Übrigen ist der Kaffee lecker, zur Bezahlung dient ein Spendenschlitz in der Theke. Und wenn ich schon mal da bin, wird noch Sprit nachgefasst. Derweil ist der erwartete „Silberstreif“ am Horizont zu sehen, die Front ist durch. 70 Minuten nach der Landung geht es bei einigen wenigen niedrigen Dunstfetzen wieder auf Kurs. Bei lockerer bis kaum vorhandener Bewölkung auf der Frontrückseite entlang des Schweriner Sees samt Sightsseening-Runde um das Schweriner Schloss blitzt nach gut 40 Minuten die Ostsee am Horizont.
Beim Anflug auf Wismar – die Farben changieren in vielen Blau- und Grüntönen. So eine Art Karibik im Norden.
Wismar und Umgebung
Inzwischen liegt die Sicht sicher bei mehr als 50 Kilometer. Grund genug, das Umland von Wismar einschließlich der Insel Poel zunächst ausgiebig aus der Vogelperspektive zu betrachten. Und dann hinein nach Wismar. Da auf den Einleitungsruf niemand antwortet, mit Blindmeldungen bei strammen 20 bis 25 Knoten von Osten anfliegen und vor das Türmchen rollen.
Stillleben am Boden, der Windsack jedoch strack am Mast – der Flugplatz Wismar grüßt.
Hier ist kein Mensch, aber nach einigem Suchen findet sich eine gemütliche Holzhütte samt Funkgerät. Nach weiterem Suchen ist in einem angrenzenden Feld auch der Flugplatzbesitzer bei der Kartoffelernte ausfindig gemacht. Der eher knorrige Typ erweist sich schließlich als überaus freundlich und hilfsbereit. Der Bitte um einen Hangarplatz – angesichts der Windverhältnisse und angesagten Niederschläge ist mir ein sicheres Heim für unser UL ein Herzensanliegen – wird nach etwas Räumerei entsprochen. Hinter seinen beiden Privatmaschinen findet sich ein lauschiges Plätzchen. Auf dem Rückweg von der Halle zur Fahrradgarage – ja, es soll mit dem Fahrrad vom Flugplatz in die Stadt gehen – lerne ich auch Bodo kennen: Das ist der Chef der kleinen Schafherde am Flugplatz. Der kann nicht nur ziemlich grimmig schauen, sondern auch mächtig blöken, wenn man seinen Mädels zu nahe kommt. Außerdem verwandelt er wohl die soeben geernteten Kartoffeln des Flugplatzeigners, die den menschlichen Qualitätsansprüchen nicht genügen, in bestes Fleisch.
Und los geht’s per Rad in Richtung Stadt. Mit einigen Tipps und einer Karte versorgt kann kaum etwas schiefgehen, zumal die Kirchtürme im Stadtzentrum meistens zu sehen sind. Der Wind macht sich auch in Höhe 0 AGL bemerkbar, aber eine gemütliche halbe Stunde später ist die Innenstadt gegen 14.30 Uhr erreicht. Direkt ins Hotel oder erst zum Hafen? Klar, erst mal an eine der Buden im Hafen und ein lecker Fischbrötchen inhaliert. Einfach Klasse. Übrigens: Da liegen drei bis vier Kähne mit ähnlichem Angebot nebeneinander, aber Preise vergleichen lohnt trotzdem.
Die Stadt bietet eine Fülle von Möglichkeiten, schöne Tage zu verbringen. Mit den Kirchen (die übrigens teilweise auf exterritorialem schwedischem Staatsgebiet stehen), der Hansegeschichte und nicht zuletzt der DDR-Vergangenheit und Nach-Wende-Zeit steht ein breiter Fundus für Geschichts- und Architekturinteressierte bereit. Die charmante Innenstadt bietet ebenso wie der gemütliche „alte Hafen“ oder die gigantischen Anlagen zur Holzverarbeitung im Industriehafen sowie eine der größten freitragenden Werfthallen der Welt jede Menge potentielle Programmpunkte.
Der Industriehafen in Wismar konzentriert sich auf das Thema Holz – die überwiegend aus Skandinavien und aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion angelieferten Stämme werden von Bauholz über Paletten bis zu Pellets restlos verarbeitet. Im Hintergrund die gigantische Werfthalle, links ist die Altstadt zu erahnen.
Und dann gibt es noch die im Anflug auf Wismar bereits ausgiebig von oben besichtigte Insel Poel in der Wismarer Bucht, die mehrmals am Tag mit dem Schiff in rund 45 Minuten erreicht wird. Die kann man komplett mit dem Fahrrad umrunden. Und da ein Damm sie mit dem Festland verbindet, kann man sie auch „auf rollendem Rad“ verlassen, wenn man das letzte Boot verpasst hat.
Die Insel Poel in der Wismarer Bucht lässt sich leicht mit dem Rad erkunden. Im Vordergrund, unter dem Lüftungsfenster unserer D‑MMZA, die Insel Walfisch, die früher als Verteidigungsposten vor dem Hafen der Hansestadt diente.
Per Schiff von Wismar in den Hafen Kirchdorf auf Poel – an der trutzigen Kirche kann der Radtour um die Insel starten.
Nicht zuletzt bieten sich die Städte Rostock und Schwerin oder das westlich gelegene Boltenhagen als Ausflugsziele an, alle sind problemlos mit Bus oder Bahn zu erreichen. Zwischen Wismar und Boltenhagen gibt es übrigens eine Menge netter Strandabschnitte, das ist allerdings eher etwas für den Sommer.
Als Adresse für die Verpflegung vor Ort empfehlen kann ich unter anderem „Börner‘s Nikolaiblick“ in der Straße Frische Grube 8 direkt gegenüber der Nikolaikirche. Das urig eingerichtete Lokal hat augenscheinlich überwiegend Stammgäste und bietet ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis sowie einen zunächst etwas wortkarg-lakonisch daherkommenden, aber doch sehr freundlichen Wirt. Hinsichtlich der Übernachtungen habe ich gute Erfahrungen gemacht mit dem Hotel Wismar (www.hotel-restaurant-wismar.de). Zentrale Lage in der Altstadt, ein wirklich gutes Frühstück und ein Fahrradschuppen gehören zu den Vorzügen. Allerdings besteht das Hotel aus mehreren Alt- und Neubauten, ob die Zimmer alle vergleichbar gut und ruhig sind, ist mir unbekannt.
Der eigentlich geplante Ausflug per UL über Fehmarn nach Orupgard auf Lolland wird aufgrund der schwierigen Wetterlage im Norden gecancelt, stattdessen der Tag für die besagte Radtour rund um Poel genutzt.
Zurück nach Mainz
Nach einer Frühstücksverdauungsradeltour aus dem Stadtzentrum zum Flugplatz und schneller Abrechnung der günstigen Kosten – Räder werden hier anscheinend gar nicht berechnet – geht es am Sonntag bei herrlichem Rückseitenwetter mit fantastischer Sicht in Richtung Heimat. Der noch immer kräftige Wind aus Nord bis Nord-West ergibt eine spritsparende Rückenwindkomponente von knapp 15 Knoten mit nach Süden allerdings abnehmender Tendenz. Damit dürfte die Strecke nach Mainz in weniger als zweieinhalb Stunden zu schaffen sein – aber es geht ja nicht darum Strecke zu machen. Wenigstens einen anderen Flugplatz möchte ich noch kennenlernen, und so fällt die Wahl auf Bad Pyrmont im Weserbergland. Der Platz ist trotz prägnanter Geländemerkmale im Umfeld wie dem genau in Bahnverlängerung vor der 22 liegenden Kernkraftwerk Grohnde gar nicht so einfach zu erkennen. Aber auch das gelingt und die Landung auf der deutlich ansteigenden Piste ist kein Problem. Vom Abstellplatz bei den Hallen ist es ein kleiner Fußmarsch zur Vereinskneipe, die einen guten Kaffee mit Blick auf den Segelflugstart serviert.
Von der Terrasse in Bad Pyrmont blickt man auf den Segelflugstart, über den man (bei Landerichtung 22) reinschwebt. Zu beachten: Im Gegensatz zu den Mainzer Segelfliegern sitzt man hier auf bequemen Stühlen statt einer Bierbank 🙂
Von einem netten Vereinsmitglied mit einigen Informationen zur Umgebung versorgt – eine knappe Stunde läuft man bis in die Innenstadt von Bad Pyrmont – geht es schließlich auf die letzte Etappe gen Mainz, wo der viertägige Ausflug nach Wismar am frühen Abend endet. Achtgepasst: Der Rollhalt 22 liegt in Bad Pyrmont gaaaanz weit vor der Bahn.
Der Wochenendtrip wäre mit dem Auto eher Strapaze als Genuss gewesen. Auch wenn das Wetter einmal mehr ein paar Herausforderungen bot, war der kurze Trip entspannend und mit vielen neuen Eindrücken verbunden. Übrigens: Die eingangs erwähnte weltbeste Bratwurstbude am Rathaus existiert nicht mehr, jedenfalls nicht an diesem Standort. Aber für Ersatz ist reichlich gesorgt.
Text und Bilder: Meinolf Droege