Kleine Fluchten…, mal ganz groß! 2021

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Ein Jahr COVID-19, inzwi­schen in der dritten Welle, fühlt sich die Welt anstrengend an. Ja, zum Glück gibt es eine Perspektive, eine gute Prognose! Nur noch nicht heute oder morgen. Obwohl inzwi­schen ein knappes Gut, ist Geduld gefragt.

Am Sonntag der Blick ins Flugwetter: Drei-Tages-Prognose, Mittwoch sieht gut aus. Ich melde mich bei meinem Freund Armin und es ist ausge­macht, wir werden den Tag nutzen, das Wetter wird Distanz und Richtung bestimmen.

Ja, wir haben Glück. Wir GA Pilotinnen und Piloten in Deutschland dürfen derzeit fliegen, im Einklang mit den Hygiene-Regeln, versteht sich. Im Gegensatz zu den Beispielen Großbri­tannien und Frank­reich, dort wurde und wird das private Fliegen zeitweise gänzlich gestoppt.

Mittwoch­morgen, über dem leichten Dunst der Inversion keine Wolke am Himmel. Armins vollständige Flugplanung von gestern Abend passt, keine Änderung nötig.

Die Route: Es soll in die Berge, zum Arlbergpass gehen! Zuerst nach Mengen-Hohen­tengen. Von dort dann weiter über Fried­richs­hafen, Hohenems nach Feldkirch und in Richtung Osten zum Arlberg Pass. Hinüber ins Inntal, kurz durch die CTR Innsbruck und über Mittenwald und Garmisch um die Zugspitze herum wieder nach Nordwesten, zurück ins Voral­penland und nach Biberach a. d. Riss. Abschließend zurück zum Heimat­platz, EDFZ Mainz-Finthen.

Los geht’s, die CT, die ich heute ein Stück fliegen darf, fühlt sich deutlich anders an, als die Fk 14, mit der ich seit inzwi­schen sechs Jahren Halter­ge­mein­schaft vertraut bin. Es ist deutlich mehr Beinarbeit, sprich, Seiten­ruder, zum koordi­nierten Kurvenflug gefragt.

Die Controller von FIS und Stuttgart machen es uns auf dem Weg nach Süden leicht. Wir steigen von FL 55 auf die gewünschte Flugfläche 60 und es geht ohne Kursän­derung durch den Luftraum D über den wenig belebten Verkehrs­flug­hafen der Schwa­ben­me­tropole hinweg. Über der Inversion kommen bereits jetzt die Alpen­gipfel in Sicht, unser Zielgebiet.

Abstieg nach Mengen-Hohen­tengen. Tatsächlich macht sich nach mehr als einer Stunde Flug „wie auf Schienen“ die Luftbe­wegung in Bodennähe bemerkbar, wenn auch nicht sonderlich stark.

Landen, kurze Pause. Als inzwi­schen erfahrene Pandemie-Flieger haben wir unsere Provi­ant­pakete dabei und wir kommen kurz mit zwei weiteren UL-Piloten ins Gespräch. Thema: Kaiser­wetter!

Der Treib­stoff an Bord reicht für die nächste Etappe plus Reserve und wir sind wieder in der Luft. FIS übergibt uns an Zürich Infor­mation, Englisch und die Route werden gewünscht. Fried­rich­hafen liegt schon hinter uns, es kommen der Bregenzer Wald und Bregenz selbst in Sicht. Der Rhein mündet hier in den Bodensee, rechts die Piste von Alten­rhein. Dahinter das Alpen­pan­orama, das schon jetzt mehr erahnen lässt.

Eine massive, steile Felswand im Südosten hält meinen Blick kurz fest. Zu gerne hätte ich ihren Namen parat und würde die Berge besser kennen. Ja, es gibt heutzutage Apps für solche Fragen, aber noch lieber hätte ich es gerne einfach so gewusst. Zu Hause schaue ich nach! Nachtrag: Es ist die Kanisfluh, 2.044 m.

Wir ändern unseren Kurs nach Süden, folgen dem Rheintal, sind inzwi­schen bereits wieder auf FL 55, weiter steigend.

Noch Flight Level, aber bald schon beginnt Gelände, in dem der zweite Teil der Regel, „oberhalb 5000 ft MSL und 2000 ft AGL Höhen­messer auf 1013 hPa stellen“, ebenfalls relevant wird. Für uns Mittel­ge­birgs­flach­länder nicht ganz so gewöhnlich.

Weiter an Hohenems-Dornbirn vorbei nach Feldkirch. Hier verlassen wir das breite Rheintal und folgen der Autobahn und der VFR-Route in östliche Richtung. Zürich Infor­mation entlässt uns ungefragt mit knapper Meldung und Squawk VFR von der Frequenz.

Das verschneite Terrain steigt steil an, das Tal wird schmaler. Die Luftfahr­karte gibt Auskunft über die Gelän­dehöhe, rund 10.000 ft rechts und links des Flugwegs und weist auf Hinder­nisse hin, Hochspan­nungs­lei­tungen und Seilbahnen. Die mächtigen Pfeiler und fast unsicht­baren Kabel sind für uns heute in komfor­tabler Höhe über dem Gelände „no factor“.

Der Arlbergpass kommt in Sicht, ein beein­dru­ckender, verschneiter Riegel, liegt er quer zu unserem Flugweg. Bald verschwindet die Haupt­straße, nur der dunkle Faden der Pass-Straße hebt sich von der weißen Schnee­fläche ab und windet sich Kehre um Kehre den Hang hinauf.

Gleißendes Weiß, darüber strahlend blauer Himmel, um uns herum eine wilde, verschneite Bergland­schaft, in der zweiten und dritten Reihe immer höhere, schroffere Gipfel. Was für ein Anblick, was für ein Augen­blick. Wir gleiten in unserer winzigen Kunst­stoff-Kapsel ruhig und ungestört durch die Bergwelt dahin.

Die freund­liche, aber dringlich klingende Stimme einer jungen Dame meldet sich auf Englisch: „Terrain!“, und holt mich aus dem kurzen Tagtraum zurück. Auch das ein Zeichen unserer Zeit. Die CT, ein Luftsport­gerät, verfügt über ein Kolli­si­ons­warn­system, das per WLAN mit dem portablen Naviga­ti­ons­system verbunden ist, dessen angenehme Stimme soeben via Headset zu hören war. Nicht zerti­fi­ziert, gleichwohl wertvolle, erschwing­liche Technik, die noch vor wenigen Jahren Airlinern vorbe­halten war.

St. Anton am Arlberg ist selbst mir als nicht Alpin-Ski Fahrer ein Begriff, tatsächlich sind präpa­rierte Pisten aus der Luft zu erkennen. Lifte bewegen sich, wenige kleine, dunkle Punkte gleiten in Schwüngen ins Tal. Aus meiner Perspektive kann ich ungefähr erahnen, wie steil diese Hänge sind und beschließe, weiter beim Ski-Langlauf zu bleiben und meinen kleinen, beschei­denen Anteil am Bergsport beim Wandern zu belassen.

Inzwi­schen haben wir wieder Funkkontakt aufge­nommen, diesmal mit Wien Infor­mation, schließlich wollen wir später die Kontrollzone Innsbruck passieren und unser Vorhaben frühzeitig ankün­digen.

Vor der Ankunft bei „W1“ übergibt uns der Controller an Innsbruck für unseren kurzen Transit zu „N2“. Der weitere Verkehr im Funk ist überschaubar; tatsächlich ein Jet, der zu Übungs­zwecken einen IFR-Anflug mit anschlie­ßender Missed Approach Procedure durch­führt. Wir vermuten einen Profi Piloten-Kollegen am Steuer, dem heute wahrscheinlich ein Teil der grandiosen Sichten entgeht.

Bei Telfs verlassen wir die VFR-Route und ab „N2“ geht es in nördliche Richtung nach Mittenwald und später Garmisch-Parten­kirchen.

Wir wollen noch einmal zur Zugspitze und ändern unseren Kurs auf West. Nach rechts reicht jetzt der Blick schon weit ins Alpen­vorland, aber links von uns weiter atembe­rau­bende Bergwelt bis zum Horizont.

Von Osten kommend erreichen wir die Zugspitze. An der Nordflanke entlang steigen steil die Grate auf. Grauer, schroffer Fels wechselt sich mit weiß verschneiten Hängen ab und wieder nimmt der grandiose Anblick gefangen.

Jetzt können wir auch die steile Wand in Richtung Nordwesten sehen. Gerade so erkennen wir winzig die Seilbahn zum Gipfel, deren Kabinen immerhin bis zu 120 Personen auf einmal aufnehmen können.

Seit unserem Start in Mengen-Hohen­tengen sind inzwi­schen 1:40 Stunden vergangen, Zeit, nach Nordwesten weiter zu fliegen.

Um uns herum und vor uns die Erhebungen des Alpen­vor­landes zwischen 5000 und 6000 ft, die sonst in unserem Flieger­alltag mehr als stattlich erscheinen. Wir überfliegen das Gelände mit einer gewissen Lässigkeit, jetzt, da uns noch ein wenig die Aura der Gebirgs­flieger umgibt – und wir in FL 85 unterwegs sind.

Weiter mit Kontakt zu FIS Richtung Biberach. Nein, die TMZ Memmingen mit Listening Watch spielt heute keine Rolle; die freund­liche Control­lerin weist uns darauf hin, dass Memmingen derzeit geschlossen ist, wie per NOTAM bekannt gegeben… . Die nachfol­gende Bitte der Hubschrauber-Besatzung eines bekannten Luftret­tungs­un­ter­nehmens um Koordi­nation von ILS-Übungs­an­flügen auf Memmingen tröstet uns ein wenig.

Nach 2:20 Flug, landen, tanken, kurze Tee und Proviant-Pause in Biberach. Und es geht weiter, wieder zurück nach Mainz-Finthen.

Noch immer hallen die Eindrücke der Berge in unseren Gedanken nach. Pläne für die Zukunft, „Wenn die Pandemie vorüber ist…“, halt, nein, ich korri­giere mich ganz bewusst, „Sobald die Pandemie vorüber ist…“: Weiter nach Süden, über den Alpen­hauptkamm nach Bozen, um dort für eine Nacht zu bleiben, oder, oder. Wie seltsam, dass mir der Gedanke in diesem Augen­blick seltsam erscheint. Ein Jahr Lebens­er­fahrung mit SARS CoV2 hinter­lässt wohl doch Spuren. Gleichwohl, wie sagt schon Gröne­meyer, „das Leben kommt von vorn!“.

Wir erreichen Stuttgart, doch nun bleibt uns und weiterem VFR-Verkehr, der von Süden kommt, der Luftraum D versperrt. Also durch die CTR, 3500 ft oder niedriger, über die Pflicht­mel­de­punkte und Threshold RW 25. Meine Konzen­tration lässt nach, wie ich merke, ich bin gerade dran mit Funk und Navigation.

Wieder in größerer Flughöhe erreichen wir gefühlt schon im nächsten Moment das breite Rheintal in der Nähe von Heidelberg und kurz darauf erscheint die vertraute Silhouette des TV-Towers am Rande der Platz­runde von EDFZ.

Nach Landung und Einhallen der Maschine ein kurzes Gespräch mit der Besatzung einer anderen Maschine, die den Tag ebenfalls für kleine Fluchten nach Süden genutzt hat. Lächelnde, zufriedene Gesichter, ja, wir GA Pilotinnen und Piloten haben Glück… .

LfV Mainz, 2021, Text: Bernhard Hehn, Bilder: Armin Hanus

 

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