Ein Jahr COVID-19, inzwischen in der dritten Welle, fühlt sich die Welt anstrengend an. Ja, zum Glück gibt es eine Perspektive, eine gute Prognose! Nur noch nicht heute oder morgen. Obwohl inzwischen ein knappes Gut, ist Geduld gefragt.
Am Sonntag der Blick ins Flugwetter: Drei-Tages-Prognose, Mittwoch sieht gut aus. Ich melde mich bei meinem Freund Armin und es ist ausgemacht, wir werden den Tag nutzen, das Wetter wird Distanz und Richtung bestimmen.
Ja, wir haben Glück. Wir GA Pilotinnen und Piloten in Deutschland dürfen derzeit fliegen, im Einklang mit den Hygiene-Regeln, versteht sich. Im Gegensatz zu den Beispielen Großbritannien und Frankreich, dort wurde und wird das private Fliegen zeitweise gänzlich gestoppt.
Mittwochmorgen, über dem leichten Dunst der Inversion keine Wolke am Himmel. Armins vollständige Flugplanung von gestern Abend passt, keine Änderung nötig.
Die Route: Es soll in die Berge, zum Arlbergpass gehen! Zuerst nach Mengen-Hohentengen. Von dort dann weiter über Friedrichshafen, Hohenems nach Feldkirch und in Richtung Osten zum Arlberg Pass. Hinüber ins Inntal, kurz durch die CTR Innsbruck und über Mittenwald und Garmisch um die Zugspitze herum wieder nach Nordwesten, zurück ins Voralpenland und nach Biberach a. d. Riss. Abschließend zurück zum Heimatplatz, EDFZ Mainz-Finthen.
Los geht’s, die CT, die ich heute ein Stück fliegen darf, fühlt sich deutlich anders an, als die Fk 14, mit der ich seit inzwischen sechs Jahren Haltergemeinschaft vertraut bin. Es ist deutlich mehr Beinarbeit, sprich, Seitenruder, zum koordinierten Kurvenflug gefragt.
Die Controller von FIS und Stuttgart machen es uns auf dem Weg nach Süden leicht. Wir steigen von FL 55 auf die gewünschte Flugfläche 60 und es geht ohne Kursänderung durch den Luftraum D über den wenig belebten Verkehrsflughafen der Schwabenmetropole hinweg. Über der Inversion kommen bereits jetzt die Alpengipfel in Sicht, unser Zielgebiet.
Abstieg nach Mengen-Hohentengen. Tatsächlich macht sich nach mehr als einer Stunde Flug „wie auf Schienen“ die Luftbewegung in Bodennähe bemerkbar, wenn auch nicht sonderlich stark.
Landen, kurze Pause. Als inzwischen erfahrene Pandemie-Flieger haben wir unsere Proviantpakete dabei und wir kommen kurz mit zwei weiteren UL-Piloten ins Gespräch. Thema: Kaiserwetter!
Der Treibstoff an Bord reicht für die nächste Etappe plus Reserve und wir sind wieder in der Luft. FIS übergibt uns an Zürich Information, Englisch und die Route werden gewünscht. Friedrichhafen liegt schon hinter uns, es kommen der Bregenzer Wald und Bregenz selbst in Sicht. Der Rhein mündet hier in den Bodensee, rechts die Piste von Altenrhein. Dahinter das Alpenpanorama, das schon jetzt mehr erahnen lässt.
Eine massive, steile Felswand im Südosten hält meinen Blick kurz fest. Zu gerne hätte ich ihren Namen parat und würde die Berge besser kennen. Ja, es gibt heutzutage Apps für solche Fragen, aber noch lieber hätte ich es gerne einfach so gewusst. Zu Hause schaue ich nach! Nachtrag: Es ist die Kanisfluh, 2.044 m.
Wir ändern unseren Kurs nach Süden, folgen dem Rheintal, sind inzwischen bereits wieder auf FL 55, weiter steigend.
Noch Flight Level, aber bald schon beginnt Gelände, in dem der zweite Teil der Regel, „oberhalb 5000 ft MSL und 2000 ft AGL Höhenmesser auf 1013 hPa stellen“, ebenfalls relevant wird. Für uns Mittelgebirgsflachländer nicht ganz so gewöhnlich.
Weiter an Hohenems-Dornbirn vorbei nach Feldkirch. Hier verlassen wir das breite Rheintal und folgen der Autobahn und der VFR-Route in östliche Richtung. Zürich Information entlässt uns ungefragt mit knapper Meldung und Squawk VFR von der Frequenz.
Das verschneite Terrain steigt steil an, das Tal wird schmaler. Die Luftfahrkarte gibt Auskunft über die Geländehöhe, rund 10.000 ft rechts und links des Flugwegs und weist auf Hindernisse hin, Hochspannungsleitungen und Seilbahnen. Die mächtigen Pfeiler und fast unsichtbaren Kabel sind für uns heute in komfortabler Höhe über dem Gelände „no factor“.
Der Arlbergpass kommt in Sicht, ein beeindruckender, verschneiter Riegel, liegt er quer zu unserem Flugweg. Bald verschwindet die Hauptstraße, nur der dunkle Faden der Pass-Straße hebt sich von der weißen Schneefläche ab und windet sich Kehre um Kehre den Hang hinauf.
Gleißendes Weiß, darüber strahlend blauer Himmel, um uns herum eine wilde, verschneite Berglandschaft, in der zweiten und dritten Reihe immer höhere, schroffere Gipfel. Was für ein Anblick, was für ein Augenblick. Wir gleiten in unserer winzigen Kunststoff-Kapsel ruhig und ungestört durch die Bergwelt dahin.
Die freundliche, aber dringlich klingende Stimme einer jungen Dame meldet sich auf Englisch: „Terrain!“, und holt mich aus dem kurzen Tagtraum zurück. Auch das ein Zeichen unserer Zeit. Die CT, ein Luftsportgerät, verfügt über ein Kollisionswarnsystem, das per WLAN mit dem portablen Navigationssystem verbunden ist, dessen angenehme Stimme soeben via Headset zu hören war. Nicht zertifiziert, gleichwohl wertvolle, erschwingliche Technik, die noch vor wenigen Jahren Airlinern vorbehalten war.
St. Anton am Arlberg ist selbst mir als nicht Alpin-Ski Fahrer ein Begriff, tatsächlich sind präparierte Pisten aus der Luft zu erkennen. Lifte bewegen sich, wenige kleine, dunkle Punkte gleiten in Schwüngen ins Tal. Aus meiner Perspektive kann ich ungefähr erahnen, wie steil diese Hänge sind und beschließe, weiter beim Ski-Langlauf zu bleiben und meinen kleinen, bescheidenen Anteil am Bergsport beim Wandern zu belassen.
Inzwischen haben wir wieder Funkkontakt aufgenommen, diesmal mit Wien Information, schließlich wollen wir später die Kontrollzone Innsbruck passieren und unser Vorhaben frühzeitig ankündigen.
Vor der Ankunft bei „W1“ übergibt uns der Controller an Innsbruck für unseren kurzen Transit zu „N2“. Der weitere Verkehr im Funk ist überschaubar; tatsächlich ein Jet, der zu Übungszwecken einen IFR-Anflug mit anschließender Missed Approach Procedure durchführt. Wir vermuten einen Profi Piloten-Kollegen am Steuer, dem heute wahrscheinlich ein Teil der grandiosen Sichten entgeht.
Bei Telfs verlassen wir die VFR-Route und ab „N2“ geht es in nördliche Richtung nach Mittenwald und später Garmisch-Partenkirchen.
Wir wollen noch einmal zur Zugspitze und ändern unseren Kurs auf West. Nach rechts reicht jetzt der Blick schon weit ins Alpenvorland, aber links von uns weiter atemberaubende Bergwelt bis zum Horizont.
Von Osten kommend erreichen wir die Zugspitze. An der Nordflanke entlang steigen steil die Grate auf. Grauer, schroffer Fels wechselt sich mit weiß verschneiten Hängen ab und wieder nimmt der grandiose Anblick gefangen.
Jetzt können wir auch die steile Wand in Richtung Nordwesten sehen. Gerade so erkennen wir winzig die Seilbahn zum Gipfel, deren Kabinen immerhin bis zu 120 Personen auf einmal aufnehmen können.
Seit unserem Start in Mengen-Hohentengen sind inzwischen 1:40 Stunden vergangen, Zeit, nach Nordwesten weiter zu fliegen.
Um uns herum und vor uns die Erhebungen des Alpenvorlandes zwischen 5000 und 6000 ft, die sonst in unserem Fliegeralltag mehr als stattlich erscheinen. Wir überfliegen das Gelände mit einer gewissen Lässigkeit, jetzt, da uns noch ein wenig die Aura der Gebirgsflieger umgibt – und wir in FL 85 unterwegs sind.
Weiter mit Kontakt zu FIS Richtung Biberach. Nein, die TMZ Memmingen mit Listening Watch spielt heute keine Rolle; die freundliche Controllerin weist uns darauf hin, dass Memmingen derzeit geschlossen ist, wie per NOTAM bekannt gegeben… . Die nachfolgende Bitte der Hubschrauber-Besatzung eines bekannten Luftrettungsunternehmens um Koordination von ILS-Übungsanflügen auf Memmingen tröstet uns ein wenig.
Nach 2:20 Flug, landen, tanken, kurze Tee und Proviant-Pause in Biberach. Und es geht weiter, wieder zurück nach Mainz-Finthen.
Noch immer hallen die Eindrücke der Berge in unseren Gedanken nach. Pläne für die Zukunft, „Wenn die Pandemie vorüber ist…“, halt, nein, ich korrigiere mich ganz bewusst, „Sobald die Pandemie vorüber ist…“: Weiter nach Süden, über den Alpenhauptkamm nach Bozen, um dort für eine Nacht zu bleiben, oder, oder. Wie seltsam, dass mir der Gedanke in diesem Augenblick seltsam erscheint. Ein Jahr Lebenserfahrung mit SARS CoV2 hinterlässt wohl doch Spuren. Gleichwohl, wie sagt schon Grönemeyer, „das Leben kommt von vorn!“.
Wir erreichen Stuttgart, doch nun bleibt uns und weiterem VFR-Verkehr, der von Süden kommt, der Luftraum D versperrt. Also durch die CTR, 3500 ft oder niedriger, über die Pflichtmeldepunkte und Threshold RW 25. Meine Konzentration lässt nach, wie ich merke, ich bin gerade dran mit Funk und Navigation.
Wieder in größerer Flughöhe erreichen wir gefühlt schon im nächsten Moment das breite Rheintal in der Nähe von Heidelberg und kurz darauf erscheint die vertraute Silhouette des TV-Towers am Rande der Platzrunde von EDFZ.
Nach Landung und Einhallen der Maschine ein kurzes Gespräch mit der Besatzung einer anderen Maschine, die den Tag ebenfalls für kleine Fluchten nach Süden genutzt hat. Lächelnde, zufriedene Gesichter, ja, wir GA Pilotinnen und Piloten haben Glück… .
LfV Mainz, 2021, Text: Bernhard Hehn, Bilder: Armin Hanus